Schuhe und Mappe, die symbolisch links und rechts eines Pfostens liegen.

Händigkeit und das Gefühl von Behaglichkeit im Taijiquan

Vor etwa zwei Jahren war ich in Hassfurt zum Push-Hands Treffen und erlebte dort Paul Fretter erstmals nicht als Mitschüler. Er war als Lehrer dort und ließ uns großzügig an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben.

Paul hat sehr viele Jahre intensiv Karate gelernt ehe er auf Wee Kee Jin traf und von ihm dann auch Taijiquan und White Crane erlernte. Und auch das ist bereits einige Donnerstage her und sein Können hat mich schon öfter beeindruckt.

Paul Fretter geht an die komplexen Herausforderungen in einer stark wissenschaftsgeprägten, kleinteiligen und analytischen Art an.

Große Aufgabenpakete werden in kleinere aufgeteilt, einzeln analysiert und bearbeitet und anschließend wieder mit den anderen Teilstücken zusammengefügt. Alles übersichtlich, nie zu viel auf einmal, hübsch systematisch. Gefällt mir.

Schlüssel zur Gelassenheit: Sich im Taijiquan bequem fühlen

Während ich seinen Ausführungen lauschte, blieb mein Gehirn plötzlich an einem seiner Sätze hängen. Paul sagte, wenn wir im Bogenschritt in die Mitte sinken, sollen wir uns „comfortable“ fühlen.

Comfortable. Klar, komfortabel, bequem. Schon tausend Mal gehört, auch von Jin: „You have to feel comfortable.“ An sich nichts Neues.

Aber nun kam ich von diesem Wort nicht mehr weg. Comfortable, comfortable, comfortable. Wie ein Mantra. Bis mir dann aufging: Ich weiß gar nicht, wie sich eigentlich bequem anfühlt.

Wie bitte? Wieso kann ich das nicht beantworten, das weiß man doch wohl? Comfortable ist … – und dann fehlten mir nicht nur dafür die Worte.

Komfortabel. Angenehm. Behaglich. Bequem. Gemütlich. Bei Wortmangel helfen Übersetzungsprogramme auch nur bedingt weiter. Was nutzen all die Adjektive, wenn sie alle nur leere Worthülsen sind?

Bequem, angenehm – natürlich kenne benutze ich diese Worte. Aber ich habe damit kein Gefühl verbunden. Dabei sollte man annehmen, jeder könnte das. Seltsamerweise ich aber nicht.

Ehrlich gesagt gab mir das erst recht zu denken (auch wenn das Denken in Bezug auf Gefühle wenig hilft).

Spielgewohnheiten und Händigkeit

In meinem Leben mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Themen, die mich beschäftigen, ganz von selbst „gefüttert“ werden. Das „Comfortable-Problem“ blieb aber zunächst lange im luftleeren Raum hängen.

Wer oder was sollte mir dabei auch helfen können? Das Problem erschien mir doch recht individuell. Doch weit gefehlt, denn dann ergab es sich, dass ich doch eine Idee bekam.

Ich war auf einem Seminar, bei dem ganz nebenbei die Sprache auf Händigkeit kam, Rechts- und Linkshändigkeit. Damit hatte ich mich seit Kindertagen nicht mehr beschäftigt.

Damals haben meine beste Freundin und ich alles Mögliche jeweils mit rechts und links ausprobiert. Sie wusste, dass sie eigentlich Linkshänderin ist, machte aber das meiste mir rechts. Nur werfen, das konnte sie eindeutig besser mit links.

Mit links werfen? Ging gar nicht. Radschlagen nach rechts oder nach links? Minigolf spielen: rechts oder links neben der Bahn? Aufs Rad steigen: von rechts oder von links? Lauter so Sachen.

Wenn ich das ausprobierte, erhielt ich immer die innere Bestätigung, dass ich Rechtshänderin bin. Daher war ich auf dem Seminar auch 100%, ach was, 1.000% sicher, dass das Thema Händigkeit exakt gar nichts mit mir zu tun hat.

Ich bin Rechtshänderin. Sogar mehrfach selbst-verifizierte Rechtshänderin.

Ich weiß doch wohl, was ich tue.

Die versteckten Auswirkungen der Händigkeit auf das tägliche Leben

Nur wurde ich mehr und mehr hellhörig, als Karl Grunick immer wieder mal über die falsche Händigkeit sprach. Was geschieht, wenn Linkshänder mit rechts agieren oder Linkshänder mit rechts?

Nun, grundsätzlich ist es möglich und überwiegend einfach Trainingssache. Nur, dass Menschen, die mit der falschen Hand agieren, häufig ihre eben getroffenen Entscheidungen wieder und wieder in Frage stellen.

Ach, und dass Falschhändige sich nie so richtig sicher und wohl fühlen?

Moment mal, sicher und wohl fühlen. Passt das zu meinem „Comfortable-Problem“? Ja, äh, ich meine, nein, oder etwa doch? Ach was, reiner Zufall.

Dass verdrehte Linkshänder schneller erschöpft sind, weil ihr Gehirn mehr Energie verbraucht, erfahre ich. Und weiter

  • dass sie sich oft sehr gerne mit Musik beschäftigen, sie hören oder selbst musizieren.
  • dass sie häufig Krämpfe beim Schreiben mit der Hand haben und die Schrift meist nicht horizontal verläuft.
  • dass sie manchmal harsch reagieren und auch streng wirken.
  • dass sie Bewegungsabläufe nicht bewältigen, mit der falschen Seite beginnen.
  • ….

Hoppla, kennen die mich? Ich bezeichne mich doch seit Jahren als „Bewegungslegastheniker“.

Quatsch, alles Zufall, ich bin ja Rechtshänderin. Durch und durch. Müsste ich aus irgendeinem Grund eine Extremität opfern, es wäre der linke Arm.

Und doch, das waren dann irgendwann zu viele Zufälle für meinen Geschmack. Aus ersten Zweifeln wurden ernste.

Seitenwechsel

Inzwischen habe ich in Büchern Checklisten zur Frage der Händigkeit gesehen.

Nach deren Ergebnis bin ich astreine Rechtshänderin, schließlich habe ich immer alles mit rechts gemacht. Stimmt aber nicht, ich bin Linkshänderin. Seitenwechsel. Das war nicht ganz leicht einzusehen. Aber sehr klar zu erfühlen.

Das Denken oder der Verstand helfen nicht bei der Frage der Händigkeit. Alle Versuche es im Kopf zu analysieren und lösen, sind zum Scheitern verurteilt. Es braucht wiederholte eigene körperliche Erfahrungen, um für sich die Frage der korrekten Händigkeit zu beantworten.

Die Umstellung ist manchmal lästig und zeitaufwendig. Aber es ist gut, nun echtes Wissen über die unterschiedlichen Energiequalitäten meiner beiden Hände zu haben.

Yin und Yang sind jetzt für mich so im Alltag konkret erlebbar, in jeder meiner Handlungen. Daneben habe ich eine unbeschreibliche Ruhe gewonnen. Der Kopf ist still, Entscheidungen werden gefällt und bleiben bestehen. Es kann so einfach sein…

Den Rest des Lebens erledige ich mit links.


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