Nach einem mehrtägigen Workshop verabschiedete sich ein anderer Teilnehmer von mir mit freundlichem Lächeln und den Worten „beautiful dance“. Wie bitte? Hätte ich fragen mögen, doch dieser nette Tscheche konnte leider so gut wie kein Englisch. Außerdem trennten sich unsere Wege gerade. „Hübscher Tanz.“ Ich hatte keine Idee, was er mir damit sagen wollte. Der Workshop hatte wahrlich nichts mit Tanz zu tun. Beautiful Dance… was meinte er bloß?
Irgendwann dämmerte mir, dass er mich morgens vermutlich durchs Fenster beim Taijiquan-Üben beobachtet haben konnte. Taijiquan als „Beautiful Dance“. Mein Laufen der Form sah für ihn also aus wie ein Tanz. Manch einer könnte das durchaus als beleidigend empfinden. Kämpfe sind schließlich eine ernste Angelegenheit und kein hübsches Tänzchen.
Kampf und Tanz in Europa
Ganz so abwegig erscheint mir die Kombination von Tanz und Kampfkunst aber gar nicht. Denn in vielen Kulturen gibt es Kriegstänze. Diese wurden oft gar nicht erst zur schnöden Touristenbelustigung erfunden. Doch selbst wenn wir sie „nur“ in diesem Kontext dargeboten bekommen, haben sie (zumindest für mich) meist eine imponierende Ausstrahlung. Ich erinnere mich mit Gruseln an eine musikalische Darbietung in Istanbul. Das belagerte Wien war von dem Sound sicherlich beeindruckt. Ebenfalls sehr beeindruckend waren die Maori, die im Auckland Museum tanzten und sangen.
In Europa ist die tänzerische Komponente des kriegerischen Auseinandersetzung eher unterentwickelt. Aber Tanz ist in Europa – abgesehen vom Ballett – eh weniger beeindruckend. Hier wird marschiert und nicht getänzelt. Dennoch: Militär und Musik gehören immerhin auch bei uns zusammen (und sei es das Funkenmariechen).
Tanz Dein Taijiquan? Hauptsache hübsch?
Ganz entschieden: Nein! Taijiquan ist kein Tanz. Taijiquan ist der Inbegriff von Funktionalität. Also dem Schweizer Taschenmesser eher verwandt als einem Tanz. Die Taijiquan-Form(en) ist (sind) eine Set von Bewegungen, die allesamt im Kampf verwendet werden können. Da sind weder Schnörkel noch dekorative Elemente. Jedenfalls im System nach Meister Huang. In anderen Taijiquan-Stilen mag das anders sein. Ob allen Praktizierenden jede Bewegung in ihrer Funktionalität auch (schon) klar ist, sei dahin gestellt.
Dennoch sehe ich als Gemeinsamkeit, dass man sich sowohl im Tanz als auch in den Bewegungen des Taijiquan „das Selbst“ zum Ausdruck bringt. Wenn die Bewegungen der Form, so wie Lehrer oder Meister sie ausführen, eins zu eins nachgemacht werden, so wird es trotzdem für den Schüler nicht automatisch richtig sein. Egal wie detailverliebt und präzise die Nachahmung ist. Jeder Mensch ist ein Unikat und muss dem eigenen Körper entsprechend die (vorgegebenen) Bewegungen für sich erforschen, ihre innere Logik erkennen.
Über den Tellerrand sehen
Darum lohnt es sich – meine ich – sich zwischendurch auch mit Tanz und Tänzern zu beschäftigen. Warum? Nun, sie verstehen viel vom menschlichen Körper und dessen Bewegungen. Die Kräfte, die auf uns einwirken, sind die selben. Tanz lebt von Beweglichkeit, Elastizität. Tänzer brauchen ebenso Präzision, Koordination, Gleichgewichtssinn und Raumgefühl wie jemand, der Taijiquan übt.
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