Obwohl es zumindest aus meiner Sicht naheliegend ist, sich neben Taijiquan auch mit Nahrungsmitteln zu beschäftigen, geht es dem Titel zum Trotz nicht um Sellerie. Weder als Staude noch als Knolle. Als ich die ersten Male bei Wee Kee Jins Workshops dabei war, bestanden meine Englischkenntnisse aus angestaubtem Schulenglisch ergänzt durch Fachtermini, die mein damaliger Beruf mit sich brachte. Körperteile, Bewegungen, Richtungsangaben – das waren allesamt Vokabeln, die ich entweder nie gelernt oder erfolgreich vergessen hatte.
So fand ich es nicht weiter verwunderlich, dass ich anfangs nicht alle Worte auf Anhieb verstand, die Jin erwähnte. Ich hörte mich nach und nach in Jins Aussprache ein und bekam durch seine wiederholten Demonstrationen auch relativ schnell heraus, welche Vokabeln welche Bedeutung haben.
Bis auf Sellerie.
Sellerie. Ich verstand immer Sellerie. „Was heißt eigentlich Sellerie?“, fragte ich die umstehenden. Dummerweise hatten wir nicht den Hauch einer Idee, wie das Wort geschrieben würde, also wäre auch ein Wörterbuch keine Hilfe gewesen. „You have to be complete Sellerie relaxed.“ Steht so in den klassischen Schriften, sagt Jin jedenfalls.
Ein Engländer konnte schließlich das Rätsel lösen: Es handelt sich um das schöne Wort thoroughly. Ein echter Zungenbrecher, das Wort kann ich auch nach Jahren nicht halbwegs anständig aussprechen (daher bleibt es für mich bei Sellerie).
You have to be complete thoroughly relaxed.
Wir sollen demnach vollständig (complete) und durch und durch (thoroughly) entspannt sein. Ist das nicht doppelt gemoppelt, wie weiße Schimmel oder schwarze Raben?
Ich glaube nicht, dass ich das irgendwann abschließend beantworten kann. Im Laufe der Zeit habe ich schon so oft und in so vielerlei Hinsicht mich (weiter, tiefer) entspannt. Körperlich, ja, klar, wichtiger erscheint es mir aber geistig und – damit einhergehend – emotional. Gerade aus dieser Erfahrung heraus denke ich inzwischen: Wer weiß, was da noch geht? Denn es ging schon mehr als ich mir zuvor hatte vorstellen können.
Völlig entspannt im Taijiquan?
Nun beeilen sich alle Lehrer/innen immer auf den Unterschied zwischen entspannt und schlapp („floppy“) hinzuweisen und dieser Hinweis ist gut und richtig. Ergänzend wird dann in aller Regel gesagt, wenn wir wirklich alle Muskeln losließen, würden wir kollabieren und an der Erde liegen.
Das hätte ich jahrelang sofort unterschrieben, aber, nun, ich mir nicht mehr so sicher. Einen neuen Impuls gab mir eine Freundin, die mit dem Taijiquan gar nichts zu tun hat und auch von dem thoroughly-Sellerie noch nichts gehört hat. Sie praktiziert seit vielen Jahren Rolfing, nachdem sie ihre Karriere als Baletttänzerin beendet hatte. Nun sprechen wir manchmal über dieses und jenes…
„Warum stehst Du nicht einfach nur auf Deinen Knochen?“, fragt sie.
Frage ich mich.
Gute Frage. Auf den Knochen stehen?
Es erschien mir zunächst absurd, doch gewinne ich der Idee zunehmend etwas ab. Meine Vorstellung von unserem Knochengerüst ist geprägt von dem guten alten Skelett, das damals in der Schule im Biologieunterricht in der Ecke stand. Das wurde von Drähten zusammengehalten. Weil ja die Muskeln und Sehnen fehlten. So weit, so klar.
Was wir gedanklich aber alle gerne unterschlagen ist das Bindegewebe. Der „Hautsack“, in dem wir drin stecken. Faszien sind Elastizität, aber auch Struktur. Sie sind immerhin in der Lage, Muskelbewegungen unmöglich werden zu lassen, wenn sie genügend „verfilzt“ sind.
Vielleicht ist es doch möglich, complete-Sellerie relaxed zu sein, so völlig entspannt?
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